Vertretung der White Star Line in Berlin 1911/2

 Von Gerhard Schmidt-Grillmeier (Berlin)

Den Anstoss zu dieser Recherche gab der Besuch von Schweizer Titanic-Freunden Ende 2008 anlässlich der Titanic-Ausstellung im „Alexa" am Alexanderplatz in Berlin. Andererseits beschäftige ich mich schon des Längeren mit dem Schicksal der einzigen Berliner Passagierin auf der Titanic, nämlich Antoinette Flegenheim(er). Sie hatte ja einen Wohnsitz in der Charlottenburger Windscheidstrasse. 41. Ich hatte über sie einen Artikel geschrieben und gehofft, dass angelsächsische „Titanicer" nach ihrem Verbleib entweder in den Vereinigten Staaten oder in Grossbritannien forschen. Sie hatte noch am 24. Dezember 1912 durch ein Schreiben aus Charlottenburg an einen Anwalt in New York – damals schon als Mrs. White-Hurst, die betonte amerikanische Staatsbürgerin zu sein – einen Schaden durch den Untergang von ca. $18.000 geltend gemacht.

In einem Artikel der New York Times am 21. April 1912 ist davon die Rede, dass der damalige amerikanische Botschafter im Deutschen Reich John Leishman besonders daran interessiert war zu erfahren, ob Major Archie Butt überlebt hatte. Major Butt war einen Monat vor dem Unglück, aus Russland kommend, noch sein Gast in Berlin. Ausserdem war die Familie John B. Thayer vierzehn Tage vorher in Berlin gewesen. Noch etliche unbekannte Amerikaner – oft Handelsvertreter – waren in Berlin und hatten Passagen auf der Titanic gebucht (so die Zeitung). Es wäre möglich – beweisen lässt sich das nicht mehr –, dass sie (und auch Antoinette F.) in der Berliner Repräsentanz der White Star Line ihre Schiffspassagen gebucht haben.

Die Vertretung für Schiffsreisen hatte 1911/2 ein „Kajütsbureau Al. Peters", Unter den Linden 6, Telefon 4023. Das Nachbargrundstück Nr. 7 war 1911 im Berliner Adressbuch auf „Se. Maj. Kaiser von Russland" eingetragen. Durch die aufgeschlossene Unterstützung der Bibliothek der Stiftung Stadtmuseum Berlin konnte ich auch die Einträge in den diversen Berliner Adressbüchern finden. http://www.museumsbibliothek.de/

Auf dem Grundstück Unter den Linden 5-6 wurde 1890/1 das Hotel Bristol errichtet. Dieses war vor dem Bau des Hotels Adlon vielleicht d a s Spitzenhotel Berlins. Es wurde besonders von amerikanischen Gästen bewohnt. Im Hotel befand sich deshalb auch die Vertretung der White Star Line, die von Al. Peters und seinem Reisebüro wahrgenommen wurde.

Al. Peters wohnte in Karlshorst, damals ein Vorort von Berlin. Ich konnte zu seiner Person wenig Näheres erfahren. Auch der Vorname blieb unbekannt, bis kürzlich ein Artikel in der Ocean Ferry vom Juli 1937 über Peters‘ Tod auftauchte:

„Zu spät für die letzte Ausgabe der Ocean Ferry erhielten wir die Nachricht vom Tod von Albrecht „Al" Peters in Berlin am 27. April.
Mr. Peters beendete 1929 eine lange und distinguierte Karriere in der Schifffahrt als Direktor des International Mercantile Marine Büros in Berlin, eine Position die er über viele Jahre innehatte. Seine Verbindung zur IMM reichte zurück ins Jahr 1896, als er in Antwerpen zur Red Star Line stiess, nachdem er 15 Jahre in den Vereinigten Staaten lebte und Amerikanischer Staatsbürger wurde. Zwei Jahre später ging er nach Berlin um das erste Hauptbüro in Deutschland zu eröffnen. In den folgenden Jahren wurde er zu einem herausragenden „Dampfschiffmann" der Stadt und führte Berlins Amerikanische Kolonie. Er schuf eine neue Art von Taschenreiseführer für Berlinbesucher und 1911 kreierte er eine Eisenbahnkarte für Europa mit Fahrplänen, Distanzen und Preisen aller Klassen zwischen den wichtigsten Städten, ein Design welches später von allen Schifffahrtsgesellschaften übernommen wurde.
In den Nachkriegsjahren setzte er sich für die Repatriierung der Amerikanischen Kriegsgefangenen durch das Amerikanische Rote Kreuz ein.
Al Peters, wie er von allen genannt wurde, war eine geniale und liebenswerte Persönlichkeit, welche ihm beidseits des Atlantiks Heerscharen von Freunden bescherte. Nichts schätzte er mehr als Menschen und genoss Freundschaften und hatte die scharfsinnige Gabe, den Charakter eines Menschen zu erfassen. Während seiner letzten Amerikareise 1928 sagte er über das Schifffahrtsgeschäft: ‚Es ist das interessanteste der Welt. Nichts gibt dir eine bessere Möglichkeit die menschliche Natur zu studieren.‘
Herr Peters hinterlässt in Berlin seine Frau und einen Sohn, Henry A. Peters, der in der International Mercantile Marine Company Agentur arbeitet, in der dritten Generation welche mit der Schifffahrt verbunden ist."

Während des Ersten Weltkrieges wurden natürlich keine Seereisen mehr gebucht und die Firma findet sich dann auch nicht mehr in den Adressbüchern.

Recherchen zu Geschäftsunterlagen der damaligen Firmen sind so gut wie unmöglich – ich hatte die Berliner Handelskammer kontaktiert und man bestätigte mir, dass alles im Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs verbrannt sei.

Herr Dr. Jochen Ziegelmann hat sich ausführlich mit den damaligen Hotels in Berlin befasst und auch die Erlaubnis erteilt, dass die Reklame für das Hotel hier abgedruckt werden darf. Siehe unter Hotelbetriebe beim Archiv Berliner Geschichte: www.potsdamer-platz.org

1936/7 erfolgte eine Renummerierung und das Hotel Bristol bekam die Adresse Unter den Linden 65.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das kriegszerstörte Hotel Bristol – welches vorher dem Kempinski-Konzern gehört hatte und im Dritten Reich zwangsarisiert und dem Aschinger-Konzern übereignet wurde – abgetragen und die Botschaft der Sowjetunion hatte das Grundstück der ehemaligen Russischen Botschaft um das Hotelgrundstück erweitert und die beeindruckende Sowjetbotschaft errichten lassen.