Das Tirschenreuther Krippenspiel.

 

Erschienen 2000 im Band 44. der Oberpfälzer Heimat, Weiden

Vor einigen Jahren habe ich die sehr bemerkenswerte Ausstellung „Tirschenreuther Krippen aus alter und neuer Zeit“ des „Oberpfalzvereins Tirschenreuth“ besucht. (1)

Jetzt hab ich von einem Hamburger Musiklehrer den Hinweis erhalten, dass es ein sogenanntes „Tirschenreuther Krippenspiel“ gibt. (2) Ich weiß nicht, ob das Wissen darüber noch sehr verbreitet ist und wollte helfen, einen interessierten Kreis darauf aufmerksam zu machen.

Das Spiel stammt von Alma de l’Aigle (*1889 in Hamburg, +1959). In den nachfolgenden Ausführungen halte ich mich sinngemäß an ihre Schilderung der Entstehung des Laienspiels.

Die Autorin war 1940 als Begleiterin von Hamburger Kindern im Kloster St. Peter, „wo der Pater rector, vordem Leiter des Knabeninternats im Kloster und katholischer Priester, sowie die katholischen Schwestern sich mit Eifer und Hingabe in den Dienst der ‚Kinderlandverschickung’ stellten.“ Diese diente ja dazu, dass Kinder aus den bombengefährdeten Großstädten in Sicherheit waren. Die Autorin schildert dann einfühlsam den Geist, der in dem Kloster herrschte: „In der Kapelle, unten in dem großen Gebäude, wurde Messe und Gottesdienst gehalten, und manches Hamburger Kind äugte durch den Türspalt in die fremde Welt oder schob sich still in eine Bank zwischen die Andächtigen. Oben aber herrschte der vorgeschriebene Geist der Zeit.“

Die Gauleitung ordnete nun zu Weihnachten die Gestaltung des Weihnachtsfestes, welches selbstverständlich krippen- und christentumsfrei zu sein hatte, an. Die Lehrerinnen unternahmen es nun insgeheim, in wenigen Tagen und Nächten ein Krippenspiel zu schreiben, welches auf der Tradition des christlichen Weihnachten aufbaute und die alten Weihnachtslieder enthielt. Da von den regimetreuen Lagerführerinnen kein eigener Vorschlag zur Gestaltung kam, wurde dann das Krippenspiel so aufgeführt, wie es die Lehrerinnen geschrieben hatten. Material für die Kostümierung der mitspielenden Kinder war schwer zu besorgen. Das Kloster hatte auf dem Boden einige Gewänder, NSV-Bettwäsche (3) wurde zu Engelkleidern. Kerzen gab es in dieser katholischen Gegend noch, aber nur ganz kurze. Besenstiele wurden deshalb zersägt, darauf kamen die Kerzen und damit war die Gefahr ge-bannt, dass die Engel sich die Hände ansengten. Ein Triumph war dann noch, dass sich schließlich eine der BDM-Führerinnen (4) als Verkündigungsengel bewarb! Die Frau, die sich des heiligen Paars erbarmt hatte und ihren warmen Stall zur Verfügung stellte, wurde als Dank der Hamburger an die Einheimischen mit einem Kopftuch, welche damals die Bäuerinnen der Gegend trugen, versehen.

 Frau de l’Aigle beschreibt auch die Schwierigkeiten mit dem damaligen Zeitgeist und dass sie es doch wagte „hie und da die Lage von 1940 ein wenig anklingen zu lassen, so dass es schien, als wenn Maria und Josef gerade heute durch das Dunkel der schweren Zeit gingen. ‚Heim ins Reich’ war damals das Schlagwort, heim in ihre Stadt hatte Kaiser Augustus die Menschen seiner eroberten Länder befohlen.“ Im Spiel wagt es Josef zu sagen: „Es trifft einen jeden …“, Maria sprach das gefährliche Wort „Wir gehorchen nur Gott…“ und wiederum Josef : „Nicht jeder findet das Lichtlein am Weg in der Nacht.“

 Das Spiel war wohl für alle Aufführenden und Teilnehmer damals ein Trost und da die Aufführung in dem Kinderlager in Tirschenreuth möglich war, nannten die Hamburgerinnen es auch „Tirschenreuther Krippenspiel“.

 1949 wurde das Spiel erneut in Tirschenreuth im damaligen Ankersaal aufgeführt. Seit 1982 gab es Aufführungen durch die Tirschenreuther „Andreas-Schmeller-Hauptschule“ im fünfjährigen Turnus parallel zu den Krippenausstellungen, die anfangs vom „Oberpfalzverein“ organisiert wurden, jetzt aber vom „Oberpfälzer Waldverein“. Marianne Stangl, Förderlehrerin an dieser Schule, hat eine Überarbeitung des Spieles vorgenommen. (5)

 Der einfache Text wurde nach Mitteilung meines Bekannten in Hamburg noch zweimal mit Kindern aufgeführt, zuletzt 1988 an seiner Schule. (6)

 

      (1)   „Regensburger Bistumsblatt“ 17.12.92 „Die Schnitzwunder von Tirschenreuth“, Leporello des „Oberpfalzvereins     

             Tirschenreuth“ „Tirschenreuther Krippen aus alter und neuer Zeit. 15.12.1992-6.1.1993.“

(2)   „Das Tirschenreuther Krippenspiel“ von Alma de l’Aigle, Bärenreiter-Laienspiele Nr. 18, Bärenreiter-Verlag Kassel und Basel 1953

(3)   NSV: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

(4)   BDM: Bund deutscher Mädel.

(5)   Eichenseer, Adolf und Erika, „Oberpfälzer Weihnacht“, 9. und stark verbesserte Auflage, S. 242

(6)   Brief vom 203.1998 von Reinmar Nowotny, Hamburg

Gerhard Schmidt-Grillmeier